H. Figge


Ansprache von Frau Dr. Heidrun Wirth zur Ausstellungseröffnung

 

Sonntag, 12. März um 16 Uhr

Träume!Bäume!

Landschaftsentdeckungen

Aquarellierte Zeichnungen

von

Holger Figge

Im Kurfürstlichen Gärtnerhaus

*

Das Gärtnerhaus gibt uns immer wieder Gelegenheit, genau hinzuschauen und dabei auch einen Künstler etwas besser als sonst kennen zu lernen. Einmal liegt es daran, dass hier sehr geschlossene Einzelausstellungen zu sehen sind, zum anderen daran, dass die Künstler hier meist selbst während der Öffnungszeiten anwesend sind (sein müssen, um die Aufsicht zu machen) und man den Vorteil hat, mit ihnen zwanglos ins Gespräch zu kommen.


Holger Figge, der seit Mitte der 90er Jahre in Godesberg lebt und sich seit etwa 30 Jahren der Kunst verschrieben hat,  ist bei uns noch nicht allzu bekannt, obwohl er seit 1996 auch  Dozent für Aquarellmalerei ist und Atelierkurse anbietet, und ebenso an der Volkshochschule Bonn und im Haus der Familie in Bad Godesberg tätig ist. Zudem ist er seit 2015 auch Kursleiter bei den Kreativurlauben der skr –reisen.


Der Künstler liebt das Aquarellieren.  Als Ingenieur für Straßenwesen und Umweltschutz hat  er  einen besonderen Blick für Landschaft und Umgebung. Doch nun erst hat er ausreichend Zeit, dem in der Kunst nachzugehen.

 

Seine Ausstellung „Träume! Bäume! – Landschaftsentdeckungen“ regt uns doppelt zum Staunen an: Einmal staunen wir über die objekthafte Natur, wie sie uns figurativ vorgestellt wird, das sind die „Bäume“ und dann nehmen wir den subjektiven individuellen Zugang des Künstlers dazu wahr, das sind die  „Träume“.  Und man hat den Eindruck, dass sich das Staunen des Künstlers selbst  in diesen „Landschaftsentdeckungen“ auf uns als Betrachter überträgt.

   

Zunächst ist es ja die Natur selbst, die seltsame Wesen hervorbringt. Holger Figge  liebt die Kopfweiden, die geradezu anthropomorphe Züge annehmen in ihrer kompakten Stämmigkeit mit den lang ausgefahrenen peitschenartigen Ruten.  

Diese  Weiden prägen unser Landschaftsbild, nicht nur am Niederrhein. Sie haben auch unsere Kultur selbst mit hervorgebracht, da,  wo sie einst den Korbflechtern Brot und Arbeit gegeben haben, da, wo sie  den Lehmputz in den Fachwerkhäusern stabil gehalten haben und schließlich auch in der Medizin, nachdem die  Salizylsäure in der Weidenrinde entdeckt wurde, die  zum weltweit eingesetzten Heilmittel Aspirin geführt hat. Das sind die praktisch materialen Aspekte der Weide, darüber hinaus liegt eine lange Tradition in der ihrer poetischen Überlieferung.  Das  Auftauchen dieser Kopfweiden im Nebel  hat zu romantischen Geschichten, Sagen und manchen  phantastischen Schauermärchen geführt, nicht nur dann, wenn Fledermäuse und Eulen, die in den alten Bäumen ihren Lebensraum haben, darin plötzlich auffliegen. Ein Stück Romantik liegt darin und auch das hat Holger Figge in seine Bilder übertragen. Heiterer oder ernster ist die Grundstimmung. Manches erinnert da an Paul Klee, der ebenso gestaunt hat über das Eigenleben der Farben, die auf dem feuchten Papier zart ineinanderlaufen und über die Flecken, die ganz eigene  Gestalt annehmen können und über die Spannung zu den Linien, die gesetzt werden. 


Solche „Persönlichkeiten“ von  anthropomorphen Kopfweiden sehen Sie hier nun Blatt für Blatt.  Diese oft windschrägen, schiefen Bäume sind in die Landschaft eingebettet, zerzaust von Wind und Wetter, angepasst und zugleich trotzig.   Sie greifen aus in  eine weite Atmosphäre, wo die Stämme lange bläuliche Schatten auf den Schnee werfen.  Sie strecken uns ein fast feindseliges Wirrwarr entgegen  oder verbergen eine geheime  Ordnung.  Stets aber übermitteln sie uns jene  Ehrfurcht vor der Natur, wie sie wohl der Künstler selbst verspürt.

 

In der Eigenart dieser Bäume  sieht Holger Figge aber auch  seltsame Korrespondenzen zu dem künstlerisch, malerisch ästhetischem Thema, mit dem er sich intensiv beschäftigt: Es ist das Verhältnis von (konturloser) Malerei und bewusst gesetzter Linie und er stellt fest: „Mal definiert die zeichnerische Linie die Kontur von Gegenständen – ohne einzuengen. Mal erzählt sie von den Eigenschaften der Oberfläche und beschreibt Lichtverhältnisse“.


Sie spüren, es geht hier in diesen Naturdarstellungen nicht um ein Nachgestalten, es ist kein Abzeichnen als Fingerübung. In Wirklichkeit ist es ein Selbst-gestalten, bei dem jene Anteile aus dem eigenen Inneren lebendig werden, die ich als Angerührt sein  bezeichnen möchte.   Paul Klee nennte diese Erweiterung des Gegenstandes über seine Erscheinung hinaus eine poetische Synthese aus „innerem Schauen und äußerem Sehen“.


Um den Gegensatz zwischen Linien und Flächen zu steigern,  fügt der Künstler mit spitzer Feder sogar noch handgeschriebene alte Schriftstücke collagenartig ein.  So wird nicht nur die Spannung zwischen Linien und Flächen, sondern auch die  zwischen dem figurativen Gegenstand und der künstlerischen Reflexion noch einmal gesteigert.

  

Stefan Zweig wollte in seinem Roman über Marie Antoinette, diese arme Königin, die dem Schafott  zum Opfer fiel,  ganz bewusst einmal  einen „mittleren Charakter“ darstellen. Er schildert ihn so: „Zu tieferem Verständnis fehlte Marie Antoinette, die nie ein Buch zu Ende las, und jedem eindringlichen Gespräch auszuweichen wusste, die unerlässliche Vorbedingung wirklichen Unterscheidens: Ernst, Ehrfurcht, Mühe und Nachdenklichkeit. Kunst war für sie –so fährt Stefan Zweig fort- „ nie mehr als ein Zierrat des Lebens“.


Ich habe das vor kurzem gelesen und habe mir gedacht, die  Attribute „Ernst, Ehrfurcht, Mühe und Nachdenklichkeit“ passen zu diesen Bildern wunderbar und weit darüber hinaus als grundsätzliche Maßstäbe für die Kunstkritik. Von dieser Ehrfurcht vor der Natur war schon die Rede. Ebenso finden wir „Ernst, Mühe und Nachdenklichkeit“, denn  intensiv hat sich der Künstler praktisch und theoretisch mit  der aquarellierten Federzeichnung auseinandergesetzt (wie  in der Vitrine zu sehen).  Er erprobt Schraffuren. Er experimentiert unablässig, überdenkt seine Ergebnisse und setzt immer wieder aufs neue an.

  

Manchmal arbeitete er so sehr ins Nasse,  dass er die Farbpfützen auf dem Blatt nutzen konnte, ein andermal probierte er den trockenen Bildgrund aus.  Farbflächen, Lasuren und Flecken wurden bis zu einer impressionistischen Feinheit reduziert, hier kam auch die Spritztechnik ins Spiel. Wir können ja  nicht genau sagen, ist die Spritztechnik impressionistisch oder sind es expressive Gesten und daher expressionistisch, wenn wir beispielsweise an den Amerikaner Sam Francis denken.


Linien fangen die Flecken und Flächen ein oder scheinen ihnen davonzurennen. Freiheit und Weite, Spontaneität und feinstes Ertasten werden ablesbar. Da gibt es das, was sich berechnen lässt und das, was sich völlig überraschend und unerwartet einstellt und was dann ganz neu genutzt wird.


Wie weit lässt sich die Farbe reduzieren, enthalten verschiedene Farbdichten, in ihrer verschiedenen Transparenz auch verschiedene räumliche Wirkungen? Und wann beginnt der weiße Bildgrund selbst zu leuchten, wenn er frei gelassen wird? Ein Künstler sucht ja nicht nur, er findet auch, und das oft unerwartet.  Aber genau dieses Wechselspiel  macht  die Lebendigkeit eines Werkes aus und Holger Figge sagte das auf seine Art einmal ganz klar:  „lebendig geht vor richtig“


Heidrun Wirth




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